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Dagmar Koller Interview 1

Petra Cichos, Telefon: 01712031359,E-Mail: info@cichospress.de

Exklusiv

Dagmar Koller Interview über ihren verstorbenen Mann Helmut Zilk

· Ich habe drei Monate ununterbrochen geweint

· Trauer-Tränen versiegen nie

· Der Trauer-Schock sitzt immer noch tief

· Mein Mann ist immer noch bei mir

· Meine Stimme war weg – drei Monate lang

· Beinahe wäre ich ertrunken

Interview 17. August 2010

Frau Koller, wie geht es Ihnen?

Mal ganz gut, mal nicht gut, mal ganz schlecht. Gestern war ich wieder auf dem Friedhof. Dort versuche ich aber meine Trauer und die Tränen zu bremsen. Nicht still da zu stehen und in sich zu versinken. Sondern das Grab zu pflegen. Dort ein Blümchen zu pflanzen, das Unkraut zu zupfen, mich über den schönen Grabstein zu freuen. Denn an dem Stein hat mein Mann Freude…

Ihr Mann freut sich über den Grabstein?

Ja, mit Sicherheit. Ich weiß, ich spreche jetzt in der Gegenwart. Aber diesen Stein hatten wir schon als Modell bei uns zu Hause. Wir wollten so einen Stein. Er symbolisiert unsere Gemeinsamkeit, die ewige Vereinigung. Auch wenn wir jetzt scheinbar getrennt sind. Wir sind aber nicht getrennt. Er ist immer noch bei mir und ich bei ihm. Jeder auf seine Art. Ich weiß dass er nicht möchte, dass ich mich gehen lasse, in mich versinke, an den Tränen ersticke….

Ihre Stimme war weg…

Genau das. An den Tränen ersticken. Ich konnte nicht mehr reden. Drei Monate lang. Gerade ich! Ich als Sängerin. Meine Stimme war ich und umgekehrt. Ich konnte nur ganz, ganz leise flüstern. Alle Arzt-Besuche haben nichts gebracht. Ich war sogar bei einem Spezialisten in Amerika. Der hat mir zwar Pillen verschrieben, die aber meschugge gemacht haben. So eine Art Glückspillen. Kein Wunder, dass in Amerika viele danach süchtig werden. Ich habe die Pillen weg geschmissen.

Aber konnten immer noch nicht reden…

Ja. Vielleicht habe ich zu viel geweint?  Nur geweint und geweint und geweint. Die Wörter Stimme und Stimmung liegen dicht beieinander. Meine Stimmung war im Keller, meine Stimme auch ganz tief versteckt. Ach ich weiß nicht. Jedenfalls war die Stimme dann plötzlich über Nacht wieder da. Und ich weiß auch warum. Es war mein Mann. Er hat dafür gesorgt, dass ich wieder reden kann. Es war in Portugal. Eigentlich eine verrückte Geschichte….

Bitte erzählen Sie…

Zum ersten Mal war ich allein in Portugal. In unserem Haus. Sonst war der Zilk ja immer dabei. Und das war natürlich grausam für mich. Allein und er nicht da und all die Sachen und Erinnerungen. Und als ich seine Schuh-Palette sah, bekam ich mal wieder einen Heulkrampf. Er hatte unglaublich tolle Schuhe aus Kroko-Leder, Maßgefertigt, Handarbeit. Top gepflegt. Da standen sie aufgereiht und mein Mann konnte sie nicht mehr anziehen. Nicht mehr in ihnen laufen. Gar nicht mehr laufen. Es war schrecklich. Ich schaute aus dem Fenster und sah die Gärtner und sah ihre Füße. Genauso groß. Der Zilk hatte große Füße…

Er war ein großer Mann…

Ja – ein großartiger Mann. Jedenfalls rief ich die Gärtner, zeigte auf die Schuhe und bat sie diese zu probieren. Sie passten perfekt. Ich drängelte den Gärtnern die Schuhe völlig auf. Dann ging ich zum Kleider-Schrank und sah die Hemden, Hosen, Jacketts. Und wieder sah ich aus dem Fenster und da machte gerade der Wachmann seine Runde. Ein großer Wachmann. Ein Zilk-Wachmann. Und auch ihn rief ich rein und er probierte und später kamen dann noch andere nette Menschen…

Denen Sie all die Sachen Ihres Mannes schenkten…

Ja. Abends ging ich ins Bett und schlief fast bewusstlos. Und als ich morgens aufgewacht bin und den Gärtnern etwas sagen wollte, war die Stimme plötzlich wieder da. Sie war da. Einfach wieder da. Da habe ich auch geweint. Aber anders. Erleichternd, befreiender. Man kann das schwer beschreiben. Drei Monate stand ich irgendwie unter Schock. Aber jetzt merkte ich plötzlich, dass die Gedanken auch wieder anders wurden. Obwohl der Trauer-Schock immer noch tief sitzt und die Trauer-Tränen nicht versiegen, sind sie jetzt doch anders – und nicht mehr jeden Tag.

Soll man Trauer ausleben lassen?

Ja, ganz bestimmt. Ich habe die Trauer zugelassen. Ich habe mich verkrochen und meine Wunden geleckt. Ich wurde auch körperlich krank. Die Bandscheibe, Kreuzschmerzen, Kraftlosigkeit, nichts mehr Essen können. Auch das habe ich zugelassen. Selbstmord hätte ich nicht gemacht. Aber ich hätte es zugelassen an einer Krankheit zu sterben. Ich lag im Bett und habe zum ersten Mal alle Biografien über meinen Mann gelesen. Da ist mir eigentlich noch mehr bewusst gewesen, was er geleistet hat. Er hat sich nie unterkriegen lassen….

Sie aber auch nicht….

Stimmt. Also habe ich wieder angefangen meine Übungen zu machen, aktiv zu werden, sich Ziele zu setzen. Zum Beispiel auch die ganze Post. Es sind unglaublich viele liebe und rührende Briefe gekommen. Ich habe sie gelesen und geweint. Hatte aber nicht die Kraft sie zu beantworten. Hatte aber auch ein schlechtes Gewissen, dass ich sie nicht beantwortet habe. Dann habe ich es endlich getan und bitte hiermit um Entschuldigung, dass ich noch nicht alle beantwortet habe. Zwar pausiere ich beruflich immer noch, aber das kommt wieder. Ich weiß. Denn ich kann es noch.

Natürlich können Sie es noch…

Ja, auch mit Fältchen im Gesicht. Ich freue mich zwar nicht über diese Fältchen und jeder der das Gegenteil sagt, schummelt da etwas – finde ich. Aber als ein Arzt zu mir gesagt hat: Wissen Sie, dass Witwen statistisch gesehen drei Jahre nach ihrem Mann sterben, war ich doch etwas platt und die alte Energie und Willensstärke kam wieder. Erstens bin ich keine statistische Witwe, zweitens funktioniert mein Gehirn noch oder sagen wir wieder, wunderbar. Also bitte lieber Herr Doktor, wir Frauen und von mir aus Witwen, sind manchmal stärker als Sie denken.

Fein – Ihr Lebenswille ist wieder da….

Wobei ich wirklich fast gestorben wäre. Ertrunken. In Portugal. Ich war ja zwangsweise ohne meinen Mann dort schwimmen. Normalerweise saß er immer am Strand und ich hatte ein rotes Bällchen an meiner linken Hand, damit er mich immer sehen konnte. Jetzt hatte ich kein Bällchen an der Hand. Warum auch? Ich schwamm also raus. Dazu muss ich sagen, dass ich eine gute Schwimmerin bin. Jedenfalls drückte mich eine Welle plötzlich runter. So weit runter, dass ich im Sand steckte. Mit aller Kraft strampelte ich mich frei. Da kam die nächste Welle…

Oh Gott….

Und die nächste Welle und nächste Welle. Ich war am Ende. Aber irgendwie schaffte ich es mich dem Ufer zu nähern. Und hätten Einheimische da nicht zufällig meinen Kampf gesehen, wäre ich heute nicht mehr am Leben. Aber wahrscheinlich sollte es noch nicht sein. Ich bin sozusagen wieder auferstanden und muss noch Dinge erledigen, eine Weile ohne meinen Mann Wege gehen. Und das werde ich jetzt auch. Es ist nicht einfach – ich weiß. Aber ich muss. Mein Mann hat bis zum Schluss gekämpft. Er hat nie gejammert, obwohl er irre Schmerzen hatte.

Sie sind eine starke Frau….

Schön wäre es. Die Rettung ist meine Disziplin und es war gut, dass ich mir die Zeit zum Trauern genommen habe. Jetzt auch noch. Aber wenn ich jetzt weine und mir dann das Gesicht abwische und in den Spiegel schaue, denke ich oft: Hallo, du trocknest aus. Die Tränen trocknen Dich aus. Höre jetzt endlich auf. Sonst bestehst Du nur noch aus Haut und Knochen und der Anblick ist auch nicht toll. Also Sie sehen, ich fange schon wieder etwas an fraulich zu denken und mein Humor kommt auch langsam wieder zurück. Bitte sagen Sie den Lesern, dass ich bald wieder ganz da bin. Noch brauche ich ein paar Schritte…

Petra Cichos

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